Liebe Freunde und Familie,
heute vor 10 Jahren ist mein Papa so plötzlich und tragisch bei dem schlimmen Unfall ums Leben gekommen. Es vergeht kein Tag, wo ich nicht an ihn denke und mir wünschte, ich könnte ihm etwas zeigen oder erzählen. Es gibt so vieles, was ich ihm gerne mitgeteilt oder gezeigt hätte: meinen Masterabschluss 2017, unser eigenes Haus mit wachsendem Garten 2018, unseren kleinen Sohn Max 2019 und alle seine kleinen und großen Fortschritte der letzten viereinhalb Jahre, mein Kunstprojekt mit dem britischen Museum 2021 und der Winnipeg Art Gallery 2022, weitere Ausstellungen und kleinere Projekte, und diesen Sommer ein Familienbesuch von Mama und Judith mit Familie.
Ich möchte euch zum 10. Todestag endlich einen Bericht zu dem Michael-Rudolph-Fond schicken. Eigentlich hatte ich vor, jedes Jahr einen Bericht zu schreiben, aber irgendwie habe ich mich all die Jahre davor gedrückt und ich wollte nicht, dass es mir eine Last wird. Vieles von unserer Stiftungsidee ist nicht so ganz nach Plan gelaufen: es stellte sich heraus, dass es ungeheuer kompliziert ist, in Paraguay eine Stiftung zu gründen. Außerdem sah Mama sich verständlicherweise nicht gewachsen, alle viertel Jahr eine offizielle Abrechnung einzureichen und wegen möglicher Geldwäsche unter die Lupe genommen zu werden. Also haben wir beschlossen, den Michael-Rudolph-Fond privat in der Familie zu verwalten und die Zinsen von dem Sparkonto jährlich privat zu spenden. Anfänglich war unsere Idee, das Schulgeld für mehrere indigene Zentralschüler zu bezahlen, da Papa selber immer wieder Schüler unterstütz hatte. Dieses war über den Kontakt mit Verena Regehr möglich. Das Schulgeld wurde jedoch kurz darauf von einer größeren Stiftung übernommen. Daraufhin haben wir über mehrere Jahre indigene Lehrerseminarstudenten auf Yalve Sanga unterstützt, bis diese Kosten auch von der größeren Stiftung übernommen wurden. Danach fehlte Unterstützung für das Gehalt eines lokalen indigenen Lehrers an einer neuen Schule, in der die 7.-8. Klasse eingeführt wurden, damit die Kinder länger bei ihren Familien zu Hause leben konnten bevor sie ins Internat zur Weiterbildung mussten. Nach zwei Jahren hat das paraguayische Erziehungsministerium endlich die Bezahlung des Lehrers übernommen. Ein Jahr lang haben wir eine monatliche finanzielle Unterstützung an einen Ayoreostudenten in Asunción geschickt, der Jura studierte, der aber leider sein Studium letztendlich abgebrochen hat. Indigene Studenten stoßen auf unglaublich viele Barrieren (inadequate Primar- und Zentralschulbildung, ungenügend Spanischsprachkentnisse, die unzureichend für die Unis sind, Kulturschock und hohe Lebensunterhaltskosten in der Stadt, kein soziales Netzwerk in der Stadt oder ein indigenes Studentenheim, das unterstützen könnte, etc). Da wir nicht so richtig in einem Förderungsprojekt angekommen sind und uns auch das parguayische Schulsystem für indigene Kinder in vieler Hinsicht problematisch erscheint (wie z.B. der Beitrag zu kulturellem Verlust, Assimilation, Kolonisationsgeschichte, Verlust von eigener Kultur und Sprache), haben wir uns die letzten zwei Jahre entschieden, die Arbeit von Linguist Hannes Kalisch finanziell zu unterstützen, da er echte Dekolonisationsarbeit gemacht hat mit seiner Arbeit zur Erhaltung der Enlhet- und Guanásprachen, und den Publikationen der Berichte der alten Enlhet, die auch meine eigene Arbeit in den letzten Jahren stark beeinflusst haben. Wir hatten das Gefühl, mit unserer Unterstützung endlich angekommen zu sein. Wir waren erschüttert, als Hannes letztes Jahr nach relativ kurzem Leiden unerwartet an Krebs starb. Es schmerzt, dass er auch nicht mehr da ist und seine wertvolle Arbeit weitermachen kann.
Wir haben uns entschlossen, die Zinsen von diesem Jahr und dem nächsten Jahr des Michael-Rudolph-Fonds den indigenen Künstlern aus dem Chaco zugute kommen zu lassen. Wir planen eine gemeinsame Ausstellung im April 2025 in Asunción im Museo del Barro und der Fundación Migliorisi, an der alle Teilnehmer, die 2021 beim Projekt mit dem Britischen Museum dabei waren - also ich, Lanto'oy' Unruh und die Mitglieder des indigenen Künstlerkollektivs Artes Vivas - teilnehmen werden. Unser Geld wird für die Anreise, Unterkunft und Verpflegung der indigenen Künstler aus dem Chaco verwendet werden während des Ausstellungsaufbaus und der Eröffnungsfeier.
Wie es danach mit dem Michael-Rudolph-Fond weitergeht, müssen wir erst mal sehen. Fehlen tut es im ganzen Land an allen Ecken und Kanten, aber einerseits ist unsere Summe von jährlich ca. 6.000.000 Guaranies (€730) Zinsen doch eher bescheiden und zweitens soll es auch im Sinne von Papas Leben und Sein gebraucht werden. Falls ihr Ideen habt, dürft ihr sie gerne mit uns teilen!
Wir fühlen uns euch nach all diesen Jahren immer noch eng verbunden und danken euch für euren Beitrag zu dem Michael-Rudolph-Fond, der, wenn auch nur im Kleinen, Papas Werk ein klein wenig weiterleben lässt.
Mit freundlichen Grüßen,
Miriam Rudolph (und Maria Rudolph)